Nachdem wir vor knapp drei Monaten mit dem Text ,,Die Engstirnigkeit deutscher Ultras” den Anfang einer Serie von Texten aus vergangenen Publikationen unserer Gruppe begannen, möchten wir diese nun mit dem Text ,,Über die Spruchbänder hinaus” aus dem WegbeGLeiter #3 fortsetzen. Der Erhalt der Fankultur ist ein schwerer und steiniger Weg, der auch immer wieder Rückschläge beinhaltet. Ein Weg, der nicht nur durch das Hochhalten von Spruchbändern mit immer gleichen Phrasen bestritten werden kann. Es muss inhaltlich tiefer und präziser gearbeitet werden, unter anderem dafür wirbt der folgende Text.
Die Fandemo „Für den Erhalt der Fankultur“ ist vorbei, eine neue Kampagne mit dem Thema „Pyrotechnik legalisieren“ in den Startlöchern. Letztere hat das Potential eine Erfolgsgeschichte zu werden. Um sie in Zukunft fest zu verankern, bedeutet das große Anstrengungen und viel Überzeugungsarbeit. Beide Kampagnen werden Szene übergreifend getragen und organisiert. „Campanilismo“ ist erst mal in den Hintergrund gedrängt und augenscheinlich wird in der Presse offensiver und freundlicher mit der Fankultur im Allgemeinen und der Ultra-Kultur im Besonderen umgegangen. Ist das der Schlüssel zum Erfolg, um die Fankultur dauerhaft zu etablieren und ihre Freiheit zu ermöglichen? Die Zukunft wird es zeigen. Vorher müssen aber Standards in den Szenen installiert werden, um dauerhafte Arbeit zu garantieren und den Medien und Justiz sowie Fußballfans Instrumente in die Hand zu geben, um die Botschaften zu transportieren und Freiheiten zu erkämpfen. Auch über das Selbstverständnis von Ultra’ muss nachgedacht werden. Brauchen wir eine Erweiterung des Denkens in der „Mentalità Ultras“? Einige Ideen und Entwürfe stehen im Folgenden zur Diskussion.
Glauben wir Giovanni Francesio, so umgibt das Ultrasein schon in den Anfangsjahren eine politische Aura. Ultras nahmen an politischen Demonstrationen teil, zwar waren die Demos ohne jeglichen Fußballbezug, trotzdem waren sie die gleichen Personen und standen für ihre Ideale ein (vgl. Tifare Contro, S.30f.). Die Faszination der Kurve, das Gruppengefühl und der Fußball vereinnahmte sie, trotzdem umgab die Ultras schon jeher der Hauch des Widerstandes, der Freiheit, die sie im Fußball und der Kurve fanden. Aus der Geschichte lernen wir, dass Freiheit immer erkämpft werden muss. Deswegen ist auch das Fernbleiben mancher Gruppen bei der Fandemo in Berlin nicht zu verstehen, Ultra’ sein heißt politisch zu denken und zu handeln, am besten natürlich bunt und weltoffen. Trotzdem sind Ultras Fußballfans, die den Verein unterstützen und gleichzeitig das Spiel lieben. Das darf nie vergessen werden. Ultra’ sein heißt auch Fan sein. Wir lernen aber auch aus der Geschichte der Ultras, dass politisches Handeln die Kurven vereint hat. So wie es die Kurven in Italien nach dem Tode von Vincenco Spagnolo versuchten oder die Gruppen in Deutschland im Herbst 2010. Ein deutliches Zeichen an die Öffentlichkeit und Akteure der Fußballindustrie war die Fandemo am 09. Oktober 2010. Wird es das Fanal für eine vereinte Bewegung für den Kampf der Freiheit der Ultras? Bisher gibt es erste Andeutungen. Die Selbstreflexion, das kritische sich Eingestehen manch dummer und absurder Aktionen in den Wortbeiträgen lassen es erhoffen. Die Dynamik der Demo darf nicht wieder einschlafen. Ein Fiasko wäre verheerend für die Kultur der Ultras. Die Ansätze der Demo, der Aufstand gegen Anstoßzeiten, Repression, teure bzw. zu wenige Stehplatzkarten, Verbote von Tifo-Materialien usw., drohen wieder in Vergessenheit zu geraten. Warum emanzipieren wir uns nicht und schreiben die „Ultra-Mentalität“ weiter? Mehr Zusammenhalt der Ultra-Gruppen, Energie in regelmäßige Treffen, neue Aktionen und Demos. Der Feind steht nicht mehr auf der anderen Seite der Kurve. Aber das wissen wir alles. Woran hapert es? Die Ultra-Szenen sind vielleicht noch nicht richtig aufgestellt für den erfolgreichen Kampf: Pressearbeit, die Arbeit mit Anwälten oder regelmäßige Veranstaltungen zu verschiedenen Themen sind in den meisten Szenen noch in den Kinderschuhen. Die Fanprojekte könnten ein Helfer sein, eine Lobby für jugendliche Fußballfans. Selbstverwaltung scheint momentan die bessere Alternative. Ein paar praktische Beispiele:
Spruchbänder bestimmen das Bild der Kurven im „modernen“ Fußball. Sie werden für verschiedene Zwecke eingesetzt: sei es für Protest, Forderung, Solidarität für etwas oder jemanden und auch der Gegner kriegt schon mal sein Fett mit einem kreativen Spruchband weg. Die Masse der Spruchbänder pro Spieltag ist gar nicht mehr überschaubar, so viele werden in den Stadien gezeigt. Das führt dazu, dass die Botschaften oftmals untergehen und somit der kurzfristige Effekt verpufft. Nehmen wir ein Beispiel: Beim 5:0 gegen Schalke 04 hing ein Spruchband vor der Westkurve: ‘Staplatsreducering – Nej tack!’ Wie bitte? Es ging wahrscheinlich um die Stehplätze und das sie erhalten bleiben sollen. Einen Tag später kam die Erklärung auf der Homepage der Ultragruppierung Frenetic Youth. Solche Art der Berichterstattung im Anschluss ist sehr wichtig, um die Öffentlichkeit zu informieren. Das geht problemlos durch Handzettel, Kurvenorgane oder wie beschrieben im Internet. Das sollte Standard werden in den Szenen, damit die Informationen aber über die Szenen hinaus gehen und eine breite Streuung der eigenen Medien erreicht wird. Und auch hier zählt: Qualität statt Masse und die Fankultur hervorheben. Sehr schön hier das Beispiel aus Hamburg: „Müssen wir zu jedem Thema drei Spruchbänder machen, in welchen wir Missstände anprangern oder können wir nicht auch eins davon machen und was positives hervorheben? (Jojo EF 49, S. 10). Ganz wichtig: seriöse Ansprechpartner! Leute, die mit einem Namen hinter Aktionen stehen. Nur so ist Vertrauen mit der Öffentlichkeit möglich.
Eine Erfolgsgeschichte für sich ist die Arbeit der Rot-Schwarzen-Hilfe aus Nürnberg. Das ist wohl ein Musterbeispiel, wie selbstverwaltete Fanarbeit funktionieren kann. Selbstverständlich bedeutet das viel Arbeit und einen hohen Organisationsgrad. Auch hier wäre zumindest Szeneintern zu überlegen, eine ähnliche oder gleiche Gruppe ins Leben zu rufen. Stress mit der Polizei oder Justiz, Stadionverboten, Repression und Willkür sind an der Tagesordnung bei fast jedem Spiel und nur eine gut organisierte Lobbyorganisation kann in den einzelnen Fanszenen oftmals helfen. Außerdem kann sie nicht nur symbolisch Öffentlichkeit herstellen, sondern konkrete Hilfe anbieten und dies auch umsetzen. Ganz wichtig und eigentlich Standard sollte in den Szenen das richtige Verhalten bei Polizeikontrollen und Festnahmen sein. Gerade für den Nachwuchs in den Szenen von essentieller Bedeutung. Junge Fußballfans brauchen Unterstützung und Anleitung, wollen wir sie nicht gleich den Mühlen der Justiz ausliefern. Auch und gerade hier kann eine selbstverwaltete Organisation helfen.
Warum nicht öfter eine Veranstaltung organisieren? Diese Art von Politik wird noch zu selten genutzt. Themen und Referenten gibt es genug und eine Veranstaltung ist schnell organisiert. Leichter geht es nicht mehr, ein Thema in die Öffentlichkeit zu holen. Für die Arbeit an den Fanbasen kann hier wertvolle Öffentlichkeit hergestellt werden. Es muss auch nicht immer der Protest sein, positive Aspekte der Fankultur in den Vordergrund stellen! Der „Maltag“ in den einzelnen Szenen steht für ein positives Beispiel, junge Fußballfans und Interessierte an die Fankultur heran zuführen.
Standards der Öffentlichkeitsarbeit und die Selbstverwaltung könnte ein Schlüssel zu Wahrung der Fankultur sein. Große Anstrengungen sind notwendig. Vieles geht nur gemeinsam. Das sind sich die Gruppen weitgehend einig. Umsetzung ist angesagt. Und Solidarität. In diesen Kategorien sollte die Zukunft angegangen werden.